Zeitungsartikel 1964
Altötting. 22 Pferde nennt die Gemeindestatistik als Pferdebestand in der Stadt. Wieviele davon Arbeitspferde sind läßt sich anhand der Statistik nicht nachprüfen. Wer aber frühmorgens auf den Straßen der Stadt Pferdegetrappel hört und verwundert aus dem Bett fährt, bekommt eine-Vorstellung von der Verwendung des Großteils dieser 22 Pferde im Gemeindebereich Altötting.
Pferdenarren gibt es unter den Bauern nur noch wenige. Das Pferd hat als landwirtschaftliches Zugtier dem rationeller und vor allem schneller arbeitenden Traktor weichen müssen. Nur einzelne Bauern haben noch das Gespür für das Pferd, das man haben muß, wenn man mit diesem eigenwilligen aber geduldigen, treuen und keineswegs intelligenten Begleiter des Menschen durch die Jahrtausende umgehen will! Dafür sind Pferdenarren und Pferdenärrinnen aus ganz anderen BevöIkerungsschichten nachgewiesen.
Unmittelbar nach dem vergangenen Krieg gab es in Altötting, zum Teil waren es Restbestände der Wehrmacht oder Beutegut, einige Reitpferde. Die Reiter dazu kamen von selbst. Da war eine kapriziöse Französin, „Nixe“ genannt, zierlich und elegant wie ihre Reiterin, da gab es ein sehr edles ungarisches Pferd, das der damalige Tierarzt Dr. Schorr als Gegenleistung für eine Operation angenommen hatte. Schließlich war auch noch ein schöner Fuchs, der „Fritz“ genannt, und weitere Pferde in einem Stall an der Grenze zwischen Alt-Neuötting untergebracht. In den frühen Morgenstunden sah man diese Pferde am Waldsaum entlang traben oder auch einen kleinen Galopp einlegen oder man sah sie auf einer kleinen Obstwiese schulreiten.
Der aber, der auf einem der Pferde oder inmitten des provisorischen Reitplatzes Reiter und Pferde auf die Fehler aufmerksam machte, rvar kein anderer, als der, der heute noch der beste Reiter in weitem Umkreis ist, der heute hoch in den siebziger Jahren stehende Schmiedmeister Hans Borst. Mit wieviel Liebe er sich der Anfänger damals annahm, mit welcher Geduld er die Wiederholung der immer wiederkehrenden Fehler mahnte, das läßt sich nur aus dem angeborenen Gefühl für Pferde erklären, das Hans Borst hat.
In den Zeiten des wirtschaftlichen Aufbaues fehlte vielen der damaligen Reiter die Zeit, sich täglich mit ihren Tieren zu beschäftigen. Die Pferde wurden alt und gingen weg, die Reiter und Reiterinnen verließ der Schwung. Vor einigen Jahren aber flackerte die Liebe zur Reiterei erneut auf. Diesmal war die Flamme aber stetiger. Dri, vier und zeitweise auch fünf Pferde trabten auf dem Dultplatz in einem von ihren Reitern gebauten Reitplatz, sprangen über selbstgebastelte Hindernisse.
Der, der wiederum anfeuert, korrigierte und mahnte, der unruhig gewordene Pferde wieder zur Vernunft brachte und ihren Reitern Mut zusprach, war wiederum Hans Borst. Diesmal aber waren die Reitstunden regelmäßig. Das Schulreiten war tägliche Pflicht und nur die Sonntagmorgen waren dem Geländeritt vorbehalten. Vor Tau und Tag jagten die Pferde über die Osterwiese, wenn der sonntägliche Ausritt herangekommen war, nachdem an den Wochentagen Volte, 'Wendungen, Seitwärtsschritte, und was alles zum Abc des Reitens gehört, geübt und Pferde und Reiter aufeinander eingespielt waren.
Aus diesen neuerlichen Anfängen erwuchs der Reitverein, der heute über eine stattliche Mitgliederzahl verfügt und auch über 16 Pferde. Der einstige Reitplatz auf dem Dultplatz wurde durch einen neuen ersetzt.
Ein Mäzen hat die Fläche zur Verfügung gestellt, auf der jeden Samstagnachmittag die jungen und älteren Reiter zusammenhelfen, um einen, allen Turnieranforderungen entsprechenden Springgarten zusammenzustellen. Tausende von DM stecken schon in dem, was dort geschaffen wurde, Spenden des Vaters der begabtesten Reiterin halfen Finanzierungslücken schließen.
Parallel zu diesen Bestrebungen läuft seit Jahren auch ein Reitkurs, dem der Bauer Alois Kurz mit einiger Pferden die Grundlage gibt. Junge Mädchen und einige junge Männer sind es, die sich am Grieshang unter Anleitung des passionierten Reiters Alois Kurz schulten und nun, da der Reitverein gegründet worden ist, sich diesem anschlossen.
Mit dem 1. Vorsitzenden des Reitvereins, Claus Kolter, konnte ein ausgezeichneter Reiter und vor allem ein Pädagoge gewonnen werden, der die einzelnen Gruppen zusammenfaßte und die reiterlichen Bestrebungen unter ein Dach brachte. Wieweit die Anfänge, die eingangs geschildert wurden, nun schon Früchte tragen, das läßt sich erst Ende August ermessen, dann nämlich, wenn in Altötting das erste Turnier steigt.
Das erstemal trat der Reitverein. Der aus dem Zusammenschluß der Reitergruppe mit dem Rennverein Altötting entstand, im Herbst des Vorjahres bei der Hubertusjagd in Erscheinung. In diesem Jahr kann die Öffentlichkeit auch an einem Dressurreiten und Springturnier Anteil nehmen, das für den 30. August vorgesehen ist. Bis zu diesem Tag wird ein Reitkurs den notwendigen Schliff geben, der diesmal mit einem auswärtigen Reitlehrer durchgeführt werden muß, weil die Zahl der Reiter schon zu groß geworden ist. Zwischen 10. und 30. August wird dieser Kurs ablaufen, der an den Vormittagen die jugendlichen und am Abend die älteren Reiter auf dem Rücken der Pferde bewegen wird, auf dem für manche das höchste Glück der Erde liegt.
In der kürzlich abgehaltenen Jahresversammlung wurden diese Pläne aufgelegt. Ob allerdings der Wunsch, an den oberbayerischen Meisterschaften sich zu beteiligen, Wirklichkeit werden kann, ist noch nicht abzusehen, Den Anforderungen für diese Meisterschaft können nur ganz wenige der Reiter genügen und vor allem auch wenige der Pferde.
Das Reiten wurde einst als feudaler Sport betrachtet. Wer sich die jungen Menschen ansieht, die am Samstagnachmittag an der Reitplatzanlage arbeiten und dann einige Stunden später mit ihren Pferden üben, dem erscheint diese Meinung vom feudalen Sport als längst überholt. Sie ist es auch! Wenn auch das Reiten kein Volkssport werden kann, dafür ist auch der Zeitaufwand dafür zu hoch, so hat er doch weite Schichten erfaßt und ist in Altötting, dank einiger weniger Idealisten zu denen vor allem der Senior der Altöttinger Reiter, Hans Borst gehört, heimisch geworden.
Alt-Neuöttinger Anzeiger, 13. Juni 1964